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Verfassungsgericht fordert besseren Schutz bei Triage

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Triage
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© Mohamed Hassan / Pixabay

Von Oliver Totter 

Mit seinem Beschluss vom 16. Dezember 2021, Az.: 1 BvR 1541/20, hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Gesetzgeber das Benachteiligungsverbot des Art. 3 Grundgesetz dadurch verletzt hat, dass Menschen mit Behinderung bei der Zuteilung überlebenswichtiger, nicht für alle zur Verfügung stehenden intensivmedizinischer Behandlungsressourcen benachteiligt werden können.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde begehrten die Beschwerdeführer einen wirksamen Schutz im Fall einer sogenannten Triage. Diese liegt vor, wenn es um die Zuteilung intensivmedizinischer Ressourcen geht, die im Laufe der Coronavirus-Pandemie nicht für alle Behandlungsbedürftigen ausreichen. Hier fühlten sich die Beschwerdeführer nicht ausreichend vor einer Diskriminierung aufgrund ihrer Behinderung geschützt.
Besteht das Risiko, dass Menschen in einer Triage-Situation bei der Zuteilung intensivmedizinischer Behandlungsressourcen wegen einer Behinderung benachteiligt werden, verdichtet sich der Schutzauftrag aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz zu einer konkreten Pflicht des Staates, hiergegen wirksame Vorkehrungen zu treffen. In einer Rechtsordnung, die auf eine gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen an der Gesellschaft ausgerichtet ist, kann eine Benachteiligung wegen einer Behinderung nicht hingenommen werden.

Es liegen aufgrund der vom Gericht eingeholten sachkundigen Einschätzungen und Stellungnahmen Anhaltspunkte dafür vor, dass bei Entscheidungen über die Verteilung pandemiebedingt nicht ausreichender überlebenswichtiger Ressourcen in der Intensivmedizin Menschen aufgrund ihrer Behinderung benachteiligt werden.

Der Gesetzgeber muss - auch im Lichte der Behindertenrechtskonvention - dafür Sorge tragen, dass jede Benachteiligung wegen einer Behinderung bei der Verteilung pandemiebedingt knapper intensivmedizinischer Behandlungsressourcen hinreichend wirksam verhindert wird. Bislang gibt es keine gesetzlichen Vorgaben für die Entscheidung über die Zuteilung von nicht ausreichenden intensivmedizinischen Kapazitäten. Es gibt allenfalls standardisierte Entscheidungshilfen. Der Gesetzgeber ist deshalb gehalten, dieser Handlungspflicht unverzüglich durch geeignete gesetzliche Regelungen nachzukommen.

Der Gesetzgeber hat nun mehrere Möglichkeiten, dem Risiko der Benachteiligung wegen einer Behinderung bei der Zuteilung pandemiebedingt knapper intensivmedizinischer Ressourcen wirkungsvoll zu begegnen. Dabei hat er zu berücksichtigen, dass die für die Behandlung zur Verfügung stehenden begrenzten personellen und sachlichen Kapazitäten des Gesundheitswesens nicht derart belastet werden, dass das Ziel, Leben und Gesundheit von Patientinnen und Patienten mit Behinderungen wirkungsvoll zu schützen, in sein Gegenteil verkehrt würde. Gleiches gilt im Hinblick auf die durch den Gesetzgeber zu beachtenden Schutzpflichten für das Leben und die Gesundheit der anderen Patientinnen und Patienten. Daher sind die Sachgesetzlichkeiten der klinischen Praxis, etwa die aus medizinischen Gründen gebotene Geschwindigkeit von Entscheidungsprozessen, ebenso zu achten wie die Letztverantwortung des ärztlichen Personals. Innerhalb dieses Rahmens hat der Gesetzgeber zu entscheiden, ob er Vorgaben zu den Kriterien von Verteilungsentscheidungen macht. Der Gesetzgeber kann auch Vorgaben zum Verfahren machen. Dazu kommt die Möglichkeit spezifischer Vorgaben für die Aus- und Weiterbildung in der Medizin und Pflege und insbesondere des intensivmedizinischen Personals, um auf die Vermeidung von Benachteiligungen wegen Behinderung in einer Triage-Situation hinzuwirken. Der Gesetzgeber hat zu entscheiden, welche Maßnahmen zweckdienlich sind. Dem Gesetzgeber steht hier grundsätzlich ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu.

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